Argentinien



Mendoza und das Seengebiet

22.09. – 10.10.2013

Eine eisige Nacht und heiße Quellen, traumhafte Bergseen nach langen trostlosen Fahrtagen, die besten Steaks und leckerer Wein.

Vom Paso San Francisco geht es langsam aber stetig bergab. Es ist bereits abends und kurz vor Toresschluss, als wir den argentinischen Grenzposten auf immer noch gut 4.000 Metern erreichen. Zum Glück geht die Einreise schnell, denn unser einziges Ziel ist, so weit wie möglich tiefer zu kommen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Nach nur 60 Kilometern umgibt uns die Dunkelheit und wir sind immer noch auf über 3.700 Metern.

 

In der Nacht fällt das Außenthermometer auf eisige minus elf Grad und im Auto ist es nicht wirklich wärmer. Zum Glück erwarten uns am nächsten Tag die heißen Quellen von Fiambalá. Über mehrere Becken ergießt sich das heiße Wasser in einem schmalen Tal. Und wir genießen den Blick über die karge Wüstenlandschaft. Welch eine Wohltat.

 

Ab hier geht es fürs Erste auf der berühmten Ruta Nacional 40 weiter. Eine über 5.000 Kilometer lange Straße, die von der bolivianischen Grenze bis nach Feuerland führt. Dass der Kilometerzähler am Straßenrand noch über 4.000 Kilometer anzeigt läßt uns erahnen, wie riesig doch Argentinien ist. Und das meiste davon ist Pampa. Naja, also strenggenommen wird erst die Grassteppe weiter südlich als Pampa bezeichnet. Aber hier ist es mindestens genauso öde.

 

1.129 Kilometer fahren wir bis Medoza ohne irgendetwas Nennenswertes zu sehen. Und auch danach geht es weitere hunderte von Kilometern durch trostloses Land. Da auf der Südhalbkugel noch Winter ist, sind auch die unzähligen Weinstöcke noch kahl.

 

Erst als wir uns Bariloche und dem Seengebiet nähern, ändert sich das Landschaftsbild. In der Ferne entdecken wir schneebedeckte Berge, die Sträucher werden größer und grüner und bald fahren wir vorbei an tiefblauen Bergseen gesäumt von dunkelgrünen Tannen.

 

In Bariloche treffen wir nach langer Zeit mal wieder Kathi und Martin mit ihrem Herrn Lehmann. Das muss natürlich gefeiert werden! Und endlich können wir auch Lukas Geburtstag gebührend nachfeiern. Natürlich typisch argentinisch mit dem zarten 500 Gramm-Rumpsteak und süffigem Wein. Man gönnt sich ja sonst nichts!

 

Und dann verabschieden wir uns für eine Woche von den beiden und statten dem Parque Nacional Los Alerces einen Besuch ab. Noch hat die Saison nicht begonnen und so sparen wir uns nicht nur den Eintritt, sondern sind auch die einzigen Besucher. Die Wanderschuhe werden mal wieder geschnürt und es geht vorbei an smaragdgrünen Flüssen und spiegelnden Bergseen vor schneebedeckten Gipfeln. Und abends gibt es Lagerfeuerromantik pur.

 

Über die gut asphaltierte RN 25 (Lukas sträubt sich gerade gegen jede Art von Schotter-Rüttel-Staubpisten) durchqueren wir Argentinien einmal von West nach Ost, denn vor der Halbinsel Valdés tummeln sich gerade die Glattwale und genau die wollen wir sehen.


Entlang der RN 3

10. – 28.10.2013

Gigantische Wale, putzige Pinguine, wabbelige See-Elefanten, Bäume aus einer anderen Zeit und die endlose Pampa.

Die Wellen platschen ans Ufer, der Mond ist gerade untergegangen und es ist stockfinstere Nacht. Man sieht sie nicht, aber ich weiß, dass sie da sind. Ganz in der Nähe. Ich höre das Platschen der Fluken auf die Wasseroberfläche und ich höre das unheimliche Schnaufen, wenn sie atmen. Bis zu 18 Meter lang sind diese schwarzen Giganten, die durchs Meer gleiten und sie ernähren sich doch nur von den kleinsten Lebewesen im Meer, von Krill. Die Rede ist vom südlichen Glattwal. Jedes Jahr im südlichen Frühling kommen sie vor die Küste der Península Valdés, um sich zu paaren und ihre Jungen auf die Welt zu bringen.

 

Vor zwei Tagen haben wir Kathi und Martin in Puerto Madryn wiedergetroffen, haben unsere Kühlboxen gefüllt und sind rausgefahren zur Península Valdés. Die Trostlosigkeit der kargen Pampalandschaft im Landesinneren macht die Halbinsel locker wett durch ihre schöne Küste und die faszinierende Marinetierwelt. Bei einer Rundfahrt auf der Halbinsel (da kommen schon mal schnell 300 Kilometer zusammen) sehen wir putzige Magellanpinguine, wabbelige See-Elefanten und niedliche Robben. Und während wir so die Robbenkolonie beobachten und langsam die Flut einsetzt taucht plötzlich eine Gruppe Orcas auf. Zugegeben sie sind recht weit weg, aber durch das Fernglas sehen wir sie ganz deutlich. Die markanten Rückflossen, die das Meer durchpflügen, und ihre glänzende schwarz-weiße Haut. Noch ahnen wir – und auch die Robben – nichts Böses während die Orcas in der Bucht auf und ab schwimmen. Doch plötzlich schlägt das Killerkommando zu und holt sich eine Robbe von der Sandbank. Wow! So was kennt man doch sonst nur von National Geographic.

 

Immer noch ergriffen fahren wir zu unserem Schlafplatz auf der Halbinsel zurück. Eine ruhige Bucht umrahmt von gold-gelben Sandsteinklippen. Und hier sind auch die Stars der Saison – die südlichen Glattwale. Wie Donner klingt es, wenn die Wale ihre mächtigen Körper in eleganten Sprüngen aus dem Wasser katapultieren. 1A-Tierdoku in 3D. Und bei Flut, wenn das Wasser den Rand der Klippe erreicht, kommen sie ganz nah. Keine drei Meter vor uns gleitet ein riesiger Wal durchs Wasser. Doch dann macht es plötzlich platscht und er taucht ab. Vollkommen verdutzt starren wir auf den Argentinier, der nur in Badehose bekleidet (ich bin kleidungstechnisch bereits bei der vierten Zwiebelschicht angekommen) neben uns ins Wasser gesprungen ist. Verzweifelt klammert er sich an seinen leeren 5l-Wasserkanister, der ihn am Untergehen hindert. Während wir noch diskutieren, wer von uns gleich in die eisigen Fluten springt um ihn rauszuziehen, klettert er aber schon wieder an Land. Später erfahren wir, dass er (mit dem Namen Jesus) Stimmen hört. Wenn er es nur schafft, einen Wal zu berühren, dann, ja dann wird die Welt eine bessere Welt. Aber wäre es da nicht sinnvoller er würde erst mal schwimmen lernen?!?

 

Fast eine Woche bleiben wir auf der Península Valdés. Kathi und Martin sind bereits auf dem Weg nach Buenos Aires. Für uns aber geht es weiter gen Süden. Immer entlang der Ruta Nacional 3 über 1.500 Kilometer bis zur chilenischen Grenze. Viele Fahrtage durch eintönige Pampa (jetzt sind wir wirklich in der sprichwörtlichen Pampa gelandet), nichts als Grassteppe soweit das Auge reicht vorbei an tausenden Kilometern Weidezaun. Aber statt Rindern sehen wir nur ein paar Schafe, wilde Guanakos und Nandus.

 

Aber es ist nicht alles eintönig auf der Strecke:

 

In Punta Ninfas übernachten wir auf einer einsamen Klippe. Hundert Meter unter uns genießt eine Gruppe See-Elefanten ihr faules Leben. Wir suchen fast eine Stunde die Klippe ab, bis wir den schmalen und steilen Pfad nach unten an den Strand finden. Wahnsinn, sind die Bullen fett und schwabbelig! Aber auch erstaunlich flott wenn es sein muss. In der Nacht machen wir dann das erste Mal Bekanntschaft mit dem berühmt berüchtigten rauhen patagonischen Wind. Die Zeltplane flattert ohrenbetäubend und die Gasdruckdämpfer von unserem Aufstelldach ächzen unter der Kraft des Windes. Wir sind heilfroh, dass wir auch bei geschlossenem Dach schlafen können und trotzdem fühlen wir uns wie auf hoher See.

 

Oder Punta Tombo wo wir durch eine riesige Kolonie von Magellanpinguinen wandern. So putzig sind die Frackträger wenn sie durch die Gegend watscheln. Es wird gestritten und geliebt, fleißig am Nest gebaut und die Eier ausgebrütet.

 

Und dann kommt noch das Monumento Nacional Bosques Petrificados. Wenn man die karge Wüstenlandschaft sieht, fällt es einem schwer sich vorzustellen, dass hier vor gut 150 Millionen Jahren dichte Wälder mit riesigen Bäumen standen. Aber damals war Südamerika ja auch noch näher an Afrika und vor allem am Äquator dran. Und dann hat ein Vulkanausbruch die stattlichen Baumstämme einfach umgefegt und unter mehreren Metern von Asche begraben. Im Laufe der Jahrmillionen hat dann Regenwasser Mineralien aus der Asche gelöst und ist in die Baumstämme eingedrungen, so dass diese zu Stein wurden. Durch noch mehr Wind und Regen wurden dann einige der beeindruckenden Stämme wieder freigelegt, so dass wir jetzt zwischen ihnen hindurch wandern können.

 

Nur der Parque Nacional Monte León hat leider geschlossen. Und so stehen wir schneller als geplant an der Grenze nach Chile. Ja, es ist verrückt, aber wenn man zur südlichsten Stadt Argtentiniens bzw. Südamerikas und eigentlich auch der Welt will, muss man erst noch mal durch ein kleines Stückchen Chile fahren.


Feuerland und südliches Patagonien

28.10. – 08.11.2013

Argentinien oder Chile, die Könige der Pinguine, traumhafte Landschaften und das Ende der Welt.

Argentinien – Chile, Chile – Argentinien, Argentinien – Chile... In noch nicht mal zwei Wochen haben wir vier mal die Grenze zwischen den beiden Ländern überquert, natürlich jedes Mal samt Fahrzeug Aus- und Einfuhr. Wer soll da nicht verwirrt sein. Welche Geldscheine brauche ich denn jetzt? Die schönen Bunten (Chile) oder die total Zerflederten (Argentinien)? Sind 1.000 Pesos viel oder wenig? In Argentinien viel, in Chile wenig. Darf man bei einer durchgezogenen Mittellinie überholen? Also eigentlich in keinem der beiden Länder, aber der Argentinier tut es trotzdem.

 

Nur wenige Kilometer hinter der Grenze von Argentinien nach Chile stehen wir am Fähranleger. Die sonst so gefürchtete Magellanstraße zeigt sich aber heute von ihrer besten Seite. Statt einer sturmgepeitschten See ist die Wasseroberfläche gerade mal leicht gekräuselt und die Fähre gleitet ruhig dahin. Ehrlich gesagt sind wir auch ganz froh darüber. Und so betreten wir zum ersten Mal Feuerland.

 

Immer noch geht es vorbei an hunderten Kilometern von Weidezäunen und wir passieren die erste Estancia auf diesem Breitengrad. Von 1883 und nach gerade mal 130 Jahren ist sie auch schon wieder verlassen. Es ist bereits 18:30 Uhr als wir den Parque Pingüino Rey, ein kleines Reservat für Königspinguine erreichen. Eigentlich gibt es sie ja nur in der Antarktis. Aber eine kleine Gruppe hat es sich hier bequem gemacht.

 

Seit einer halben Stunde ist der Park bereits geschlossen, aber der nette Herr der hier lebt, läßt uns trotzdem noch rein. Und so können wir ganz allein die kleine Gruppe Pinguine im Sonnenuntergang beobachten. Im Gegensatz zu ihren kleineren Verwandten, den Magellanpinguinen, sind sie eher still und majestätisch. Stehen rum wie Türsteher oder watscheln dicht an dicht ein Stückchen weiter. Sind ja auch schließlich Könige.

 

Wir übernachten an der einsamen Straße und sind am nächsten Tag schon wieder in Argentinien. Während die Chilenen ihre Straßen auf Feuerland sträflich vernachlässigen (wir haben uns auch gleich noch drei neue Steinschläge eingefangen) ist die etwas über 300 Kilometer lange Sackgasse auf argentinischem Boden nach Ushuaia asphaltiert.

 

Die Landschaft wirkt immer noch winterlich. Überall liegen noch Schneereste im Schatten der immer häufiger werdenden Bäume. Die Campingplätze wurden noch nicht aus ihrem Winterschlaf geweckt und so landen wir auf einem Picknickplatz vor der Stadt. Noch ist alles voll mit Argentiniern und ihren Familien, aber nachts sind wir mit ein paar grasenden Pferden allein.

 

Am nächsten Morgen geht es in den Parque Nacional Tierra del Fuego. Wow, und da stehen wir also an dem Schild „Parque Nacional Tierra del Fuego – Aqui finaliza la Ruta Nac. N°3“, hier endet also die Ruta Nacional 3, ab hier kommen wir mit unseren Toyo nicht mehr weiter in den Süden. Zugegeben, das Schild an sich ist nichts Besonderes, aber für uns markiert es einen wichtigen Etappenpunkt und wir sind schon so ein bisschen stolz auf uns. Vor 469 Tagen waren wir in Inuvik, dem nördlichsten Punkt Kanadas, den man mit dem Auto erreichen kann. Seit dem sind wir 48.867 Kilometer durch 16 Länder gefahren. Von der Tundra durch trockene Wüsten, eisige Hochebenen, tropischen Regenwald und grauen Großstadtdschungel bis in die endlose Pampa. Von 85 Metern unterm Meeresspiegel im Death Valley, USA, bis hinauf auf 5.020 Meter in den bolivianischen Anden. Über Stock und Stein, durch Matsch und Sand, über Asphalt, um tiefe Schlaglöcher herum und über unzählige Topes rüber.

 

Wir haben Glück und genießen vier Tage im Park mit traumhaftem Frühlingswetter. Wir wandern und grillen, verteidigen unser Fleisch gegen neugierige Füchse, lassen uns die wärmende Sonne ins Gesicht scheinen und genießen es, dass der patagonische Wind uns eine kleine Verschnaufspause gönnt.

 

Und dann geht es zum ersten Mal seit langem wieder Richtung Norden, der Sonne entgegen. Nur dass wir nicht allzu viel von ihr sehen. Wir hadern mit dem Wetter, das uns innerhalb von einer Stunde alle vier Jahreszeiten beschert. Vier!? Naja, wohl eher drei. Ungemütliche Herbststürme wechseln mit zartem frühlingshaften Sonnenschein bis eisiger Wind wieder winterlichen Schneeregen bringt.

 

Auf unserem Weg nach Norden landen wir als erstes auf einem kuriosen Campingplatz in Tolhuin. Er wirkt eher wie ein liebevoll gestalteter Schrottplatz mit einem super netten Besitzer. Hier trennen wir uns auch endlich von unserem eh nur noch zu 30 Prozent funktionierenden Petroleumkocher, der damit quasi zum Kunstobjekt wird. Aber wie gesagt, geöffnete Campingplätze und damit heiße Duschen sind zu dieser Jahreszeit Mangelware und so sehen wir auch geflissentlich darüber hinweg, dass das heiße Wasser eher die Farbe von Rost hat.

 

Nach einer weitern Nacht am Straßenrand (wir sind übrigens wieder in Chile), überqueren wir zum zweiten Mal die Magellanstraße. Diesmal von Porvenir nach Punta Arenas. Das Wetter ist grau in grau, aber die See ist ruhig. Und da das Wetter nur zum Fahren taugt sind wir schneller als gedacht in Puerto Natales und damit einem kulinarischen Highlight, dem Afrogonia. Ein chilenisch-afrikanisches Restaurant. Es gibt dreierlei von der Königskrabbe (ein Gedicht!), mit Erdnüssen und Spinat gefülltes Hühnchen und Steak in Champingonsauce (super lecker!), zum Nachtisch schwarzes Bohnen Panna Cotta mit Maracuja Eis (klingt komisch, schmeckt aber einfach himmlisch!) und dazu ein Pisco Sour. Und während Chile und Peru sich noch streiten wessen Nationalgetränk es denn jetzt ist, habe ich meinen Favoriten schon gefunden (der peruanische schmeckt definitiv besser).

 

Und schon stehen wir wieder an der Grenze nach Argentinien. Und stehen und stehen und stehen. Ganze zwei einhalb Stunden. Denn der chilenische Zoll streikt und hat deshalb kurzerhand die Grenze geschlossen.


Entlang der RN 40

08. – 15.11.2013

Ein beeindruckender Gletscher, viele Kilometer eingezäunte Pampa und 9.000 Jahre alte Hände.

Nachdem in Chile die Zöllner gestreikt haben, streiken in Argentinien gerade die Lehrer. Eigentlich sollte man meinen, dass wir davon nicht betroffen wären. Aber da die Lehrer die Straßen für Tanklaster blockieren, gibt es in El Calafate, unserem ersten Ort in Argentinien, ziemlichen Kraftstoffmangel. Fast durch den gesamten Ort zieht sich die Schlange mit Autos und Leuten mit Kanistern (sieht ja hier schon fast so aus wie in Bolivien). Zum Glück ist die Schlange für Diesel nicht ganz so lang. Und als wir vier Tage später weiterfahren, gibt es im Ort gar keine Kraftstoff mehr...

 

Aber jetzt erst mal zu El Calafate, einem netten Touristenörtchen, dass wie alles in Patagonien gerade erst aus dem Winterschlaf erwacht. Und alle sind, genau wie wir, hier, um wohl einen der bekanntesten Gletscher zu sehen: den Perito Moreno.

 

30 Kilometer lang und 5 Kilometer breit. Gespeist durch eines der drei niederschlagreichsten Gebiete der Erde in den Gipfeln der Anden, schiebt sich der Glaciar Perito Moreno durch die Schwerkraft und das steile Relief immer weiter in den See Argentino hinaus. Erstaunliche zehn Meter in fünf Tagen! Und immer wieder kommt es hier zu spektakulären Eisabbrüchen. Tatsache aber ist, dass gerade dieser Gletscher, der als Symbol für die Klimaerwärmung und das Schmelzen der Gletscher gilt, seit über 100 Jahren weder gewachsen noch geschrumpft ist.

 

Aber das beschreibt nicht wie unglaublich schön dieser Gletscher ist. Noch hat die Urlaubssaison hier nicht richtig angefangen und so sind wir fast alleine auf den unzähligen Stegen und Aussichtsplattformen. Während hinter uns die Sonne scheint, hängt über dem Gletscher eine dichte Wolkendecke und ein dezenter Regenbogen zeigt sich am Himmel. Und trotzdem leuchtet sein Eis in einem so unvorstellbaren magischen Blau, dass ich es kaum fassen kann! Gespannt lauschen wir dem unheimlichen Knacken des Eises und fast schon ohrenbetäubenden Donnern, wenn wieder ein mehr oder weniger großer Eisbrocken abbricht und im Wasser landet.

 

Wir sind so schon beeindruckt ohne Ende, aber erst als wir mit einem Ausflugsbötchen an die Südflanke des Perito Moreno herranfahren und wir erfurchtsvoll zu der 60 Meter hohen zerklüfteten Eiswand vor uns aufschauen, fühlen wir uns so richtig klein.

 

Die Ruta Nacional 40, die parallel zu der Andenkette verläuft, zieht sich durch die für Argentinien so typische eingezäunte endlose Pampa. Und zumindest auf diesem Abschnitt liegen ihre Highlights weit ab von der eigentlichen Strecke. Wir sind gerade zurück aus der 100 Kilometer langen Sackgasse zum Perito Moreno Gletscher und nur 94 Kilometer später biegen wir wieder von der RN 40 in eine 90 Kilometer lange Sackgasse ein, nach El Chaltén. Während eben noch die Sonne schien empfängt uns hier ungemütlicher Schneeregen und das berühmte Fitz Roy Bergmassiv versteckt sich hinter dichten Wolken. Ehrlich gesagt hält sich unsere Motivation in Grenzen, das gräußliche Wetter auszusitzen und zu hoffen, dass sich die Berge mal zeigen. Genau genommen reicht unsere Geduld gerade mal für eine Stunde. Nämlich genau so lange bis die unscheinbare Tankstelle im Ort nach der Siesta um 15 Uhr wieder aufmacht.

 

Wieder zurück auf der RN 40 finden wir für die Nacht einen schönen, aber verdammt windigen Platz mit Blick auf den Lago Cardiel. Und dann biegen wir schon wieder in eine Sackgasse ein. Wieder knapp 100 Kilometer zum Parque Nacional Perito Moreno. Eine wunderschöne Berg- und Seenlandschaft und kleine verwunschene Wäldchen, die uns vor dem rauen Wind schützen. Ein Ort wo Fuchs und Hase sich Gute-Nacht sagen und Guanakos über die Ebene jagen.

 

Ach ja, zurück auf der RN 40 biegen wir wenig später wieder in eine diesmal nur gut 50 Kilometer lange Sackgasse zu den Cueva de las Manos Pintados ab. Bei der endlosen ebenen Pampa trauen wir unseren Augen kaum, als sich vor uns der wunderschöne grüne Canyon des Río de las Pinturas öffnet.

 

Während Babymeerschweinchen quieckend zwischen den Feldbrocken rumlaufen, bestaunen wir die sich auf halber Höhe im Canyon erstreckenden vor Wind und Wetter geschützten Handabdrücke. Über 700 sollen es sein, von denen die ersten aus der Zeit um 7.370 v.Chr. stammen. Über Jahrhunderte sind immer wieder Generationen von Ureinwohnern hierhergekommen um sich zu verewigen. Bestimmt genauso beeindruckend ist, dass die Estancia am gegenüberliegenden Canyonrand 46.000 Hektar (460 km²) groß ist. Das ist sogar noch größer als die Fläche Kölns (405 km²).

 

Und am nächten Tag biegen wir zum letzten Mal von der RN 40 ab auf eine kleine Schotterstraße zum Paso Rodolfo Roballos, der uns nach Chile führt.



In den Nordosten

25.11. – 18.12.2013

Einmal quer durchs Land, korrupte Polizisten, ein Naturparadies und das Experiment der Jesuiten.

Nach gut sieben Wochen quer durch Patagonien landen wir wieder in Bariloche. Inzwischen ist hier der Frühling eingekehrt, die Sträucher blühen im leuchtenden Gelb, die Sonne strahlt wärmend vom Himmel und im Ort herrscht geschäftiges Treiben. Mit „Haus-“ und Wartungsarbeiten vergeht die Zeit wie im Flug und da wir ja wieder in Argentinien sind, landet jeden Abend ein saftiges Steak auf dem Grill.

 

Der äußerste Nord-Osten Argentiniens ist unser nächstes Ziel. Aber von der Provinz Corrientes trennen uns noch sage und schreibe 2.500 Kilometer. Am Río Limay entlang geht es ins wüstenartige Neuquén, weiter durch Millionen Hektar flaches Weide- und Ackerland bis südlich von Córdoba grüne Hügel und Stauseen auftauchen. In Villa General Belgrado, einem Touristenort mit Biergärten, Schwarzwälderkirschtorten und kitschigen Bierkrügen, legen wir einen Tag Pause ein, bevor es wieder weiter geht. Mittlerweile haben wir den Sommer eingeholt, unsere Wintersachen sind in der Dachbox verstaut und kurze Hosen und Flip-Flops gehören wieder zum Standardoutfit, das Mosquitonetz hängt wieder in der Tür und Sonnencreme und Mosquitospray sind gekauft. Die ersten Palmen tauchen auf und das Land wird lauter, bunter und lebendiger.

 

Die Sonne brennt uns schon seit Stunden auf die Windschutzscheibe, als wir nach gut 400 Kilometern und total verschwitzt die Grenze zur Provinz Chaco erreichen. Wie immer begrüßt uns ein Polizeiposten, nur diesmal werden wir nicht einfach durchgewunken.

 

Kritisch geht der Polizist einmal um unser Auto rum. Fahrzeugschein, Führerschein und Versicherung bitte und einmal mit ins Büro kommen. Na toll, was wird das denn jetzt. Während der Polizist versucht uns mit Händen und Füßen und Bildchen zu erklären, dass wir in dieser Provinz keine Anbauteile am Auto haben dürfen, also noch nicht mal das Ersatzrad an der Hecktür, antwortet Lukas ihm beharrlich auf Deutsch, dass dieses Gesetz auf einen in Deutschland zugelassenen Wagen hier nicht greift. Und als wäre das nicht genug, will der Polizist auch gleich die Strafe für Wiederholungstäter von uns haben. Nach einer halben Stunde kommt schließlich der Vorgesetzte dazu. In der Annahme wir würden eh kein Spanisch verstehen, bestätigt er dem Polizeibeamten, dass wir wirklich nicht zahlen müßten, aber trotzdem versuchen sie es noch ein paar mal von uns Geld zu kassieren, bis wir schließlich doch einfach weitergeschickt werden.

 

Angespannt fahren wir weiter durch die Provinz immer mit der Sorge, von dem nächsten übereifrigen Polizeibeamten wieder angehalten zu werden. Erleichtert überqueren wir eine Stunde später die Brücke an der Grenze zur Provinz Corrientes. Wir quälen uns durch den dichten Verkehr der gleichnamigen Provinzhauptstadt und wollen nur noch einen Platz für die Nacht finden.

 

Und prompt kommt der nächste Polizeiposten der uns rauswinkt. Das gibt es doch nicht! Tausende von Kilometern durch Zentral- und Südamerika und keine Probleme mit korrupten Polizisten. Und jetzt gleich zwei Mal an einem Tag!!!???

 

Fahrzeugschein, Führerschein und Versicherung bitte und einmal mit ins Büro kommen. Kommt uns ja irgendwie bekannt vor... Da es an unseren Papieren aber nichts zu meckern gibt und auch die Behauptung vom jungen Polizisten, unser Auto müßte doch jedes Jahr zur technischen Untersuchen, wenig Erfolg bringt, kommt ein weiterer Vorwurf. Nur leider verstehe ich den Polizisten diesmal wirklich nicht ganz. Was sollen wir jetzt falsch gemacht haben? Irgendetwas mit einer gelben Linie, oder doch mit einer Kreuzung? Gelb oder Rot? Oder war es doch eine Ampel? Wo kommen wir heute her? Aus Chaco, dann sind wir ja durch die Stadt Corrientes gefahren. Na klar, gibt ja sonst keinen anderen Weg. Es ist eigentlich ein nettes Gespräch in dem wir viel lachen, weil er mich nicht ganz versteht und ich ihn auch nicht. Nur eigentlich ist die Situation gar nicht lustig. Erst später wird mir klar, dass er mit jedem Mal das ich nachgefragt habe, die Geschichte ein kleines bisschen abgeändert hat. Bis er unseren wunden Punkt trifft. Wir haben in Corrientes nämlich blöderweise wirklich eine rote Ampel übersehen. Aber kann er das wirklich wissen? Er erzählt uns was von einer Durchsage über Funk und einem Foto und das wir das aber erst bei einer Gerichtsverhandlung zu sehen bekommen würden. Die Strafe wäre 1.500 argentinische Pesos, die wir aber natürlich nicht bei ihm bezahlen würden, sonder morgen bei der Hauptstelle in der Stadt. Puhh, und jetzt? Und dann rückt er endlich mit der Sprache raus. Wir könnten ja auch bei ihm 800 argentinische Pesos (also etwas über 90 Euro) bezahlen und hätten weiter keine Probleme. Und während wir noch auf Deutsch diskutieren, was wir jetzt machen, horcht der Polizist plötzlich auf sein Funkgerät. Bevor wir überhaupt kappieren was los ist und während draußen seine Kollegen vorfahren, haben wir schon wieder unsere Papiere in der Hand und werden mit den Worten „Buen viaje“ quasi aus dem Büro geschoben. Noch mal Glück gehabt. Aber das reicht definitiv für einen Tag!!!

 

Am nächsten Tag machen wir einen großen Bogen um den Polizeiposten (eigentlich wollten wir noch mal zurück nach Corrientes zum Einkaufen, aber daraus wird jetzt nichts) und fahren zum Esteros del Iberá, einem 13.000 km² großem Sumpfgebiet. Die letzten Kilometer sind eine üble Sand- und Lehmpiste, die vom letzten Regen noch gefährlich rutschig ist, aber unser Toyo schlägt sich natürlich wacker.

 

Zum erstenmal seit Chile gucken wir auch wieder auf den Zettel von Douglas Tompkins. So ganz schlau werden wir allerdings nicht mehr aus den Notizen. Excelenter Campingplatz in der Nähe von Carlos Pellegrini und irgendwas von einer Estancia Rincon del Socorro. So winzig die Ortschaft Carlos Pellegrini auch ist, es gibt immerhin eine Besucherinfo und so fragen wir einfach nach wo denn diese Estancia wäre und dass wir dort campen wollten. Warum uns der Mitarbeiter in der Besucherinfo so komisch angeguckt hat wird uns erst klar, als wir gut 30 Kilometer später an der Estancia ankommen. Ein riesiges, wunderschönes, gepflegtes Anwesen mit einem Gästehaus der Spitzenklasse und der Wintersitz von Herrn Tompkins persönlich. Aber definitiv kein Campingplatz.

 

Naja, aber wenn wir schon mal hier sind können wir ja mal fragen. Wieder werden wir erst mal komisch angeguckt, aber als wir den Zettel mit der Unterschrift von Herrn Tompkins vorzeigen dürfen wir neben der Gärtnerei übernachten. Wir haben einen traumhaften Blick über die weite Graslandschaft mit unzähligen Capybaras und Nandus. Und sobald die Sonne untergeht, umgibt uns das einmalige Konzert der Vögel und Insekten.

 

Aber wir sind doch auch neugierig, was es jetzt mit dem Campingplatz auf sich hat. Und so machen wir uns doch nochmal auf die Suche. Und wir landen auf dem für uns mit Abstand schönsten Campingplatz ganz Argentiniens. Direkt am Seeufer mit traumhaften Sonnenuntergängen, liebevoll angelegten überdachten Tischen und Bänken und tip top sauberen Waschräumen. Schmetterlinge und Vögel schwirren um unsere Köpfe, abends kommen Capybaras zum Grasen vorbei und der Kaiman Hugo liegt immer irgendwo mit offenem Maul am Ufer rum.

 

Die Tage vergehen wie im Flug und mit jedem Tag wird es heißer und heißer und drückender. Man spürt die Spannung in der Luft und prompt werden wir am nächsten Morgen von Donnergrollen geweckt. Vorsorglich ziehen wir das Stromkabel ein und schließen das Zeltdach und plötzlich wird es mucksmäuschen still. Kein Vogel zwitschert, keine Grille zirpt, kein Mosquito summt mehr. Und eine Sekunde später legt das Unwetter los. Es regnet wie aus Kübeln und im null Komma nichts steht alles unter Wasser. Die Bäume biegen sich im Sturm, Äste fliegen durch die Gegend und es herrscht ein Getöse, dass wir unser eigenes Wort nicht mehr verstehen. Und mit uns verkriechen sich eine Katze und diverse Kröten unter dem immer undichter werdenden Dach der Palapa. Noch bis zum Mittag regnet es ohne Unterlaß, aber am Abend errinnern nur die riesigen Pfützen und ein fernes Grollen an das Gewitter.

 

Fast täglich laufen wir zu dem einzigen nennenswerten Kiosk im Ort, schließlich hat uns die Polizei ja unseren Großeinkauf vereitelt, aber die Auswahl ist mehr als begrenzt und so reduziert sich unser Speiseplan schnell auf Rührei mit Kräckern oder Pfannkuchen zum Frühstück und Nudeln mit Tomatensoße und kaltem Bier zum Abendessen. Und so treiben uns nach einer Woche unsere leeren Schränke zum Supermarkt in Posadas in der Nachbarprovinz Misiones.

 

Ihren Namen verdankt die Provinz übrigens den diversen Jesuitenmissionen, die hier zwischen 1609 bis 1767 bestanden. Häufig als größtes soziales Experiment bezeichnet, siedelten sich die Priester in abgeschiedenen Gebieten an und errichteten reducciones, in denen sie Guaraní-Gemeinschaften gründeten. Sie boten den Guaraní in erster Linie Schutz vor den Sklavenjägern, die billige Arbeitskräfte für die Zuckerrohrplantagen suchten. Der europäische Einfluß wurde relativ gering gehalten, so mußten die Guaraní zum Beispiel kein Spanisch sprechen. Als allerdings der Neid der kolonialen Obrigkeit wuchs und die Siedler das Gefühl bekamen, die Jesuiten wären ihren eigenen Idealen gegenüber loyaler als der Krone, veranlaßte Carlos III. von Spanien, die Jesuiten aus seinem Herrschaftsgebiet zu verbannen, womit er dem Beispiel von Portugal und Frankreich folgte. Die Guaraní wurden zurück in den Wald geschickt, an dessen Leben sie natürlich nicht mehr gewohnt waren.

 

Die bekannteste sogenannte Ruduktion ist San Igancio Miní, gut erhalten und schön restauriert. In Santa Ana dagegen hat eindeutig die Natur wieder die Oberhand gewonnen. Aber dadurch ist der Ort nicht weniger faszinierend. Ganz im Gegenteil. Wir sind die einzigen Besucher. Und vor allem der bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts genutzte Friedhof fasziniert mich mit seinem morbiden Charme. Unkraut überwuchert die Grabsteine, mächtige Würgefeigen bahnen sich ihren Weg durch die brüchigen Mauern der Gruften und hinter schmiedeeisernen Türen fällt unser Blick auf umgestürzte Särge.

 

Wir fahren unsere wahrscheinlich letzten Kilometer über argentinischen Boden und überqueren den Río Iguazu nach Brasilien.



Buenos Aires

13. – 27.02.2014

Das Abenteuer Verschiffung, lebhafte Märkte, die Odyssee einer berühmten Leiche, platte Füße und saftige Steaks.

Es ist noch früh am Morgen, als wir mit der Fähre Buenos Aires am gegenüber liegenden Ufer des Río de la Plata erreichen und wir uns in den erbarmungslosen Verkehr der Hauptstadt stürzen. Straßen mit sechs Spuren in jede Richtung sind keine Seltenheit. Womit spontanes Abbiegen quasi unmöglich wird. Und dann wieder werden die Häuserschluchten so schmal, dass unser Navi auch noch die Orientierung verliert. Aber irgendwie schaffen wir es auf eine neunspurige Autobahn, die uns Richtung Norden aus der Stadt führt. Unser Ziel ist Andean Roads, Wohnmobilverleih und Overlanderstellplatz. Der perfekte Platz für all jene, die gerade frisch in Buenos Aires angekommen sind, oder, so wie wir, hier ihre Reise beenden.

 

Die nächsten Tage sind wir beschäftigt mit aufräumen und umräumen, Reisetasche packen, wieder umräumen und wegräumen, putzen und Auto waschen. Wir sind heilfroh, dass es hier einen überdachten Bereich gibt, wo wir uns samt Toyo unterstellen können und so trotz der gelegentlichen Regenschauer für die Verschiffung alles trocken bleibt.

 

Da wir wie meistens einen Tag zu früh fertig sind, haben wir noch Zeit, dem Markt am Puerto de Frutos in Tigre einen kleinen Besuch abzustatten. Statt Früchten werden hier allerdings mehr Möbel, Dekoartikel und allerlei Ramsch verkauft. Da begeben wir uns doch lieber auf eine gemütliche Bootsfahrt fernab der Großstadt Buenos Aires, durch das schöne grüne Flußdelta, vorbei an Pfahlbauten, alten Kolonialhäusern und Ferienanlagen.

 

Und dann ist er schließlich da. Der Tag X. Oder besser gesagt Tag 1 der Verschiffung Argentinien – Deutschland. Schon seit wir vor fast zwei Jahren in Kanada gestartet sind, wissen wir, dass dieser Tag kommen würde, aber trotzdem ist es irgendwie ein komisches, blödes und irgendwie unwirkliches Gefühl. Tapfer kämpfen wir uns wieder rein in den Großstadtverkehr und finden schneller als gedacht das Büro von dem von uns beauftragten Logistikunternehmen. Eigentlich wollten wir ja mit einem anderen, einem deutschen Unternehmen verschiffen, aber… Der Kontakt mit dem Mitarbeiter in Buenos Aires war super, bis die Mitarbeiter in Deutschland uns mitteilten, dass die Auslösung eines Containers mit einem einzigen Gebrauchtwagen und dann auch noch von einer Privatperson doch zu viel Arbeit sei. Das fängt ja gut an!

 

Aber auch so haben wir eine gute Spedition erwischt. Wie gut, das zeigt sich dann an Tag 3. Aber heute ist erstmal nur kennenlernen, Papiere kopieren und zahlen angesagt. Dank des „Blue Dollar“ sogar günstiger als gedacht, was aber immer noch verdammt teuer ist. Dann geht es wieder raus aus der Stadt, nur um am nächsten Tag wieder reinzufahren. Diesmal um ein paar Stunden beim Zoll die Füße platt zu stehen und ein Formular nach dem anderen zu unterschreiben.

 

Und dann ist auch die letzte Nacht im Toyo vorbei. Wie vereinbart rufen wir morgens noch mal kurz bei der Spedition an. Eigentlich sollen wir uns in zwei Stunden am Speditionsbüro treffen, um gemeinsam zum Lagerhaus zu fahren. Denn hier werden die Container nicht im Hafen beladen, sondern in diversen Lagerhäusern, die in der Stadt verteilt sind. Und ausgerechnet heute hat der Zoll ein Drittel aller Lagerhäuser in Buenos Aires zur Überprüfung geschlossen – für drei Tage! – und sämliche Waren und Container in diesen Lagerhäusern gesperrt. Also auch, wer hätte es gedacht, der Container, der für unseren Toyo bereitstand. Während wir also auf gepackten Taschen da sitzen und Minute um Minute bangen und warten und hoffen, dass trotzdem noch alles klappt, glühen bei unserer Spedition die Telefone heiß. Schließlich muß spätestens morgen früh der Container beladen sein, um die notwendigen Papiere für das geplante Schiff einzureichen. Aber genau das Gleiche versuchen alle anderen Speditionen in der Stadt auch, die irgendwie versuchen Ersatzcontainer zu organisieren (die Lkws stehen Schlange, um die leeren Container aus dem Hafen zu holen) und ein anderes Lagerhaus zu finden, das für heute noch Kapazität hat. Um 16:30 Uhr bekommen wir endlich das Okay. Wir düsen los, so schnell unser Toyo kann, und kommen zeitgleich mit dem Container und unseren Agenten am neuen Lagerhaus an. Und ratzfatz, ohne nennenswerte Zollkontrolle (die soll in Buenos Aires eigentlich ziemlich übel sein, aber vielleicht liegt es daran, dass es kurz vor Feierabend ist) steht unser Toyo sicher verzurrt im Container. Und während sich die Türen schließen, wird uns ganz schwer ums Herz.

 

Als wir schließlich in unserer kleinen Pension im Stadtteil Palermo Soho von Buenos Aires ankommen, ist es bereits dunkel und wir fallen sofort todmüde ins Bett. Aber so kann ich mir auch keine Gedanken darüber machen, dass wir ja jetzt quasi ohne zu Hause sind.

 

Da wir nicht vor unserem Toyo das Land verlassen wollen (man weiß ja schließlich nie, was noch passiert), haben wir noch eine ganze Woche Zeit die Stadt des Tangos zu erkunden. Aber einen wirklichen Plan haben wir eigentlich nicht. Naja, abgesehen davon, dass jeden Abend ein saftiges, argentinisches Steak auf unseren Tellern landen wird und die Gläser mit argentinischem Wein gefüllt sein werden.

 

Wir lassen uns durch die Straßen treiben, brauchen mindestens vier Ampelphasen um die Av 9 de Julio zu überqueren, kommen vorbei an der Casa Rosada, dem Präsitentenpalast, und der Galería Pacifico, dem ältestens Einkaufszentrum der Stadt. Wir schlendern über die bunten Märkte von San Telmo und Recoleta. Fahren im Touribus vorbei am Stadion der berühmten Boca Juniors und landen in La Boca zwischen jeder Menge Souvenierläden und bunter Häuser. Natürlich wird vor den Touristenrestaurants auch Tango getanzt, aber in eine typische Milonga, wo die Porteños, die Bewohner von Buenos Aires, tanzen gehen, schaffen wir es nicht. Denn wenn es da nach Mitternacht los geht, liegen wir mit platten Füßen schon wieder im Bett.

 

Eine wirklich spannende Geschichte entdecken wir aber auf dem Friedhof in Recoleta. Von morbider Schönheit sind die pompösen, eleganten und zum Teil verfallenen Mausoleen, die wie eine kleine eigene Stadt wirken. Ein Ort, den jeder Besucher von Buenos Aires gesehen haben muß, denn hier liegt die berühmte María Eva Duarte de Perón, auch bekannt als „Evita“, beerdigt. Seit der Musicalverfilmung mit Madonna kennt wohl fast jeder die Geschichte der armen Schauspielerin, die sich in den zukünftigen argentinieschen Präsitenten verliebt und ihn auch heiratet und als Primera Dama von der Arbeiterklasse verehrt wird. Aber kennt jemand die Geschichte nach ihrem Tod? Die irrwitzige, makabere Reise ihrer einbalsamierten Leiche um die halbe Welt?

 

Es beginnt damit, dass ihr Mann Präsident Perón, um den Kult um Evita auch weiter für sich zu nutzen, sie nach ihrem Tod einbalsamieren und in einem gläsernen Sarg ausstellen läßt. Aber Peróns Macht wärt nicht ewig und so setzt er sich während eines Militärputsches drei Jahre später ins Ausland ab. Die Opposition, aus Angst vor der symbolischen Macht von Evitas Leiche, läßt selbige kurzerhand entführen. So skrupellos, sie zu entsorgen, waren sie dann aber doch nicht und versteckten sie deshalb erstmal hinter einer Kinoleinwand im Stadtteil Palermo. Irgendwie war ihnen das aber zu unsicher und so karrten sie den Leichnam tagelang in einem Lastwagen durch Buenos Aires und brachten ihn schließlich in ein Militärdepot.

 

Aber auch da blieb er nicht lange. Denn ein Offizier schnappte sich die Tote und brachte sie ins Hinterzimmer seines Hauses. Als seine schwangere Frau dem Geheimnis auf die Spur kam, erschoss er sie. Oder erschoss er sie, weil er sie für einen Leichendieb hielt? Wer weiß das schon. Danach auf jeden Fall, inzwischen vier Jahre nach ihrem Tod, entschieden die Militärs, Evita anonym auf dem Friedhof Monte Grande bei Buenos Aires zu bestatten. Doch der Lastwagen mit dem Sarg verunglückte und die Soldaten brachten den Körper im Gebäude des Heeresgeheimdienstes in Sicherheit. 1957 wurde Evita schließlich inkognito nach Italien verschifft. Allerdings nicht, ohne dass vorher noch drei Wachskopien von ihr angefertigt wurden, die alle auf unterschiedlichen Wegen nach Europa gebracht wurden. Eine davon soll sogar im Altmühltal in Deutschland beerdigt sein. In Mailand auf jeden Fall hatte Evita für 14 Jahre erstmal ihre Ruhe. Dann ließ Perón sie in sein Exil nach Madrid überführen. Hier musste sie dann einigen Hokuspokus über sich ergehen lassen, als versucht wurde, ihre Seele auf die neue Frau Peróns zu übertragen.

 

Erst 24 Jahre nach ihrem Tod findet Evita schließlich auf dem Friedhof La Recoleta ihre letzte Ruhestätte. Hinter drei Stahlplatten in einer mehrere Meter tiefen Gruft – aus Angst vor einer erneuten Entführung.

 

Und dann ist auch unsere letzte Woche in Südamerika einfach so vorbei. Im Gegensatz zur Odyssee von Evitas Leiche eher unspektakulär, aber dafür schön und entspannt. Während also das Schiff mit unserm Toyo den Hafen verlässt, steigen wir in den Flieger erst nach Miami und ein paar Tage später geht es auch für uns über den Atlantik zurück nach Deutschland. Schon erstaunlich, wie schnell und unspektakulär so ein Flug ist. In wenigen Stunden ziehen weit unter uns Länder und Landschaften vorbei, ohne dass man wirklich etwas davon mitbekommt. Und in Gedanken sind wir bei den vielen unvergesslichen Erlebnissen, die wir in den vergangenen Monaten hatten, um die gleiche Strecke mit unserem Toyo zurückzulegen.

 

Noch gute fünf Wochen wird es dauern, bis wir unseren Toyo in Hamburg wieder in Empfang nehmen können. Zwar hat er ein paar kleine Kratzer vom dicken Hafenmitarbeiter abbekommen (sahen übel aus, ließen sich aber doch wieder wegpollieren), aber sonst ist er unversehrt. Naja, und dass der deutsche Zollbeamte der erste und letzte auf unserer Reise ist, der die Einreise nicht ordentlich im Computer vermerkt, ist wohl eine eigene Geschichte… .


The End